Ungenutzte Tiefgangsreserven und erhöhte Havarierisiken auf der Elbe

Heute werden die Umschlagszahlen des Hamburger Hafens für 2014 bekannt gegeben und man ist in Hamburg stolz auf den Spitzenplatz in der Nordrange. Gebetsmühlenartig wird natürlich im selben Atemzug dringend die Elbvertiefung gefordert, und ewig grüßt das Murmeltier. Doch die Probleme liegen ganz woanders, beim Havarierisiko, und da schweigt des Sängers Höflichkeit. Das Thema wird vor allem in der Hamburger Presse praktisch ausgeblendet.

Die "CSCL Globe" mit einer Ladekapazität von 19.100 TEU am 13. Januar 2015 quer zum Strom beim Einparken. Schiffslänge 400 m, Drehkreisdruchmesser 480 m, internationaler Standard mindestens 1,5-fache Schiffslänge = 600 m.
Die „CSCL Globe“ mit einer Ladekapazität von 19.100 TEU am 13. Januar 2015 quer zum Strom beim Einparken. Schiffslänge 400 m, Drehkreisdruchmesser 480 m, internationaler Standard mindestens 1,5-fache Schiffslänge = 600 m. (Foto: Axel Godenrath)

Schiffsgröße verdreifacht – Tiefe gleich geblieben

Die Größe der Containerschiffe wurde in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Die Ladekapazität stieg von 6.500 auf 19.000 TEU, die Länge von 300 auf 400 m und die Breite von 40 m auf fast 60 m. Kaum verändert haben sich dagegen die Tiefgänge der Großschiffe. Was zunächst erstaunlich ist, hat eine ganz einfache physikalische Erklärung. Alle Schiffe dieser Klasse laden zwei Containerstapel übereinander, weshalb der Tiefgang weitgehend unverändert bleibt. Einlaufend waren es 2007/08 genau wie 2014 durchschnittlich 12,28 m.

"CSCL Pacific Ocean" beim Erstanlauf am 5. Februar 2015 bei Balje / Brunsbüttel
Schwesterschiff „CSCL Pacific Ocean“ beim Erstanlauf am 5. Februar 2015 bei Balje / Brunsbüttel. Die Unterschreitung der Mindeststandards ist auf der Elbe die Regel.

Das Regionale Bündnis gegen Elbvertiefung analysiert die Tiefgänge seit 2007 und legt jetzt die Daten aus 2014 vor. Dabei wird für jedes Schiff auch der mögliche Tiefgang bei den aktuellen Fahrwasserverhältnissen ermittelt. Durch Abzug des tatsächlichen Tiefgangs ergibt sich die Tiefgangsreserve. Unter Berücksichtigung des Völligkeitsgrades wird dann daraus die Ladungsreserve errechnet.

Erhebliche Ladungsreserven
Für 2014 wurde bei 925 Großschiffen (über 8.000 TEU) so ermittelt, dass die durchschnittliche Tiefgangsreserve einlaufend 2,49 m und die Ladungsreserve ca. 3.000 TEU betragen hat. Auch auslaufend sind im Schnitt noch 1,34 m Tiefgangsreserve und ca. 1.600 TEU Ladungsreserve vorhanden. Bei 1850 Passagen wurde der mögliche Tiefgang nur 6 Mal ausgenutzt, das sind 0,3 %. Diese Zahlen erklären, warum selbst die weltgrößten Schiffe wie die Baureihe der „CSCL Globe“ den Hamburger Hafen ohne Tiefgangsprobleme anlaufen und auch der Umschlag im tideabhängigen Hamburger Hafen 2014 stärker steigen konnte, als in den benachbarten Tiefwasserhäfen. „Die alltägliche Praxis des Schiffsverkehrs weist beim Tiefgang erhebliche Spielräume auf und zeigt, dass eine weitere Vertiefung nicht erforderlich ist“, sagte Bündnissprecher Walter Rademacher, „denn was könnte man mehr wollen, als Spitzenwerte bei Umschlagssteigerung und Schiffsgröße?“

In Hamburg erreicht der Containerumschlag mit 9,7 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) ein in der Nordrange überdurchschnittliches Plus von 5,1 Prozent.
In Hamburg erreicht der Containerumschlag 2014 mit 9,7 Mio. TEU (20-Fuß-Standardcontainer) ein in der Nordrange überdurchschnittliches Plus von 5,1 Prozent. Prognostiziert waren ursprünglich 17 Mio. TEU.

Der Hamburger Hafen hat rund 151.000 Beschäftigte.

So teilt es Port of Hamburg am 9. Februar 2015 mit. Zum Vergleich: Rotterdam hat 7500, mit der Sekundär und Tertiärwirtschaft sind es in Rotterdam zusammen 35.000. Soll man jetzt gratulieren, dass der kleinere Hamburger Hafen viel mehr Arbeitsplätze hat als der größere in Rotterdam? Oder stimmen die Hamburger Zahlen vielleicht gar nicht?

Aber vom Propaganda-Unsinn zurück zur Realität, die nach wissenschaftlichen Maßstäben von Dr. Walter Feldt im Buch Wahr-Schau zu diesem Ergebnis kommt: An den 4 Containerterminals arbeiten ca. 3.000 Beschäftigte. Selbst wenn man jedem direkt Beschäftigten 3 weitere indirekt hinzurechnet ergibt das nicht annähernd eine Zahl im 6-stelligen Bereich. Die Umschlagprognosen kann man dagegen nicht so einfach schönreden. Da ist harte Realität, dass die (Fehl-)Prognose von PLANCO um -43 % unterschritten wurde.

Die Schiffe auf der Elbe sind länger als die Fahrrinne breit ist
Die Verdreifachung der Schiffsgröße bei gleichbleibendem Fahrwasser überschreitet jedoch andere Grenzen und führt zwangsläufig zur Erhöhung der Havarierisiken auf der Elbe. Vor allem die Schiffslänge von 400 m macht Rademacher Sorge, da weder die Fahrrinnenbreite noch der Drehkreisdurchmesser den weltweit geltenden Empfehlungen des Permanant International Navigation Congresses (PIANC) entsprechen.

Großschiffe fahren nicht nach internationalen Standards
„Laut PIANC sind ab Störmündung bis zur Lühekurve Fahrwasserbreiten von mindestens 398 m statt 300 m und ab Lühekurve bis Hafengrenze eine Breite von mindestens 367,2 m statt 250 m erforderlich. Der Drehkreis in Hamburg sollte anstelle der vorhandenen 480 m mindestens die 1,5-fache Schiffslänge aufweisen, also einen Durchmesser von 600 m haben wie z. B. in Bremerhaven, sagte Kpt. Klaus Schroh, ehemaliger Leiter der Bundessonderstelle für die Bekämpfung von Meeresverschmutzungen. Im Übrigen müsse gemäß PIANC die Breite einer vertieften Fahrrinne bei größerem Tidefall mindestens der Länge der größten dort verkehrenden Schiffe entsprechen, wenn sie nahezu mit dem Scheitel der Hochwasserphase einlaufen“

Tiefgangsreserven bei erhöhten Havarierisiken
„Der Verkehr der Großschiffe auf der Elbe weist einerseits deutliche Reserven beim Tiefgang auf, hat andererseits aber erhebliche Defizite bei der Sicherheit. Daran ändert die geplante 9. Elbvertiefung nichts“, fasst Rademacher zusammen, „der Wettbewerbsdruck führt offenbar zum Ausblenden von international üblichen Sicherheitsstandards.“

"CSCL Globe" am 15. Januar 2015 als derzeit größtes Schiff der Welt im Hamburger Hafen
„CSCL Globe“ am 15. Januar 2015 als derzeit größtes Schiff der Welt im Hamburger Hafen

Wie viele Menschen und Arbeitsplätze sind erhöhten Risiken ausgesetzt?

Interessant wäre ja einmal der Preis, den der aus den Fugen geratene Schiffsverkehr auf der Elbe kostet, aber diese Zahlen sind bisher nicht bekannt. Ebenso wenig wie die Krebsregister entlang der Elbe bekannt sind. Abschätzbar sind die Schadstoffmengen, die durch den Schiffsverkehr freigesetzt werden, z. B. durch die Untersuchungen von „Rettet die Elbe“. Wo aber diese Schadstoffe bleiben und was sie anrichten, wird vertuscht.

Hamburger Hafen wächst auch ohne Baggerei
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