Wie zwei Worte in Hamburg allergische Reaktionen auslösen

Naturschutz + Elbmündung, diese beiden Worte reichen, damit man in Hamburg sofort ROT sieht und Atemnot bekommt – und flugs die hauseigene Propaganda-Maschinerie anwirft und nach dem Rettungsmediziner Olaf Lies ruft. Dabei hätte es gereicht, den Entwurf der Vorordnung für das geplante Naturschutzgebiet einfach mal zu lesen.

Dort steht in § 3 Verbote, Absatz 3 Folgendes:

Die Verbote des § 3 Abs. 1 und 2 gelten nicht für:
1. die der Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes dienenden Maßnahmen, einschließlich der vertraglich obliegenden Pflichten
2. das Befahren mit Wasserfahrzeugen innerhalb des Geltungsbereiches des Bundeswasserstraßengesetzes

Die Verordnung macht also nicht lediglich Ausnahmen von den Verboten der Verordnung, sondern besagt, dass sämtliche Verbote für die WSV und ihre Tätigkeiten sowie für die Bundeswasserstraße pauschal nicht gelten, also quasi die Verordnung in ihrer Gesamtheit. Wodurch bitte fühlt sich Hamburg also bedroht? Es ist – bei Kenntnis des Entwurfs – nicht nachvollziehbar, wo Herr Markus Lorenz vom Weserkurier, Außenstelle Hamburg oder andere angeblich irgendwelche „Nadelstiche“ gegen Hamburg ausgemacht haben wollen. Bessere Information hätte hier gewiss gegen den Vorhalt geschützt, „Fake-News“ zu verbreiten.

Fakt ist, dass diese Schiffe mit bis zu 200.000 t Masse und Antriebsleistungen bis zu 100.000 kW hier bereits regelmäßig verkehren, egal ob Naturschutzgebiet oder nicht, und zwar sogar ohne Elbvertiefung. Warum? Weil diese Schiffsklasse über 6.500 TEU zwar länger und breiter geworden ist, aber nicht tiefer. Warum? Weil sich die Tauchtiefe physikalisch nach der Belastung pro m² Schiffsboden richtet, und die ist seit über 10 Jahren unverändert. Warum? Es werden konstant zwei Containerstapel übereinander gestapelt, einer unter Deck und einer über Deck, aus logistischen Gründen, und das wird auch zukünftig so bleiben.

Fakt ist weiter, dass der Verordnungsentwurf für das Naturschutzgebiet für die WSV und den Schiffsverkehr nicht gilt. Sportbooten dagegen ist das Trockenfallenlassen auf dem Watt vor der Ostemündung verboten. Dadurch wird die Möglichkeit des Abwartens an der Ostemündung zwecks Einlauf in die Oste zur passenden Tidezeit genommen und der Wassertourismus in der Oste faktisch beeinträchtigt, aber über diese konkreten Beeinträchtigungen wird nicht geschrieben und das wird deshalb öffentlich nicht wahrgenommen. Eine tatsächliche Einschränkung in der Oste ist nicht berichtenswert, eine Gefühlte in Hamburg wird dagegen kommentierter Leitartikel.

Da fragt man sich doch, was soll mit der Thematisierung ohne erkennbaren faktischen Hintergrund eigentlich erreicht werden? Die Medien füllen mit Scheinproblemen? Als Motiv bleiben unterm Strich nur reine Propagandazwecke, aber sowas gibt’s ja nur in Diktaturen, scheidet also auch aus;-). Der Bitte, dieses Rätsel aufzulösen und es uns zu erklären ist der Redakteur leider nicht nachgekommen, man ahnt, warum: Es mangelt offensichtlich an seriösen Gründen.

Die beiden aktuellen Grafiken (incl. 1. Halbjahr 2017) lassen keinen Bedarf für eine weitere Elbvertiefung erkennen, also auch kein „wichtiges Infrastrukturprojekt des Nordens“, wie der offensichtlich vertiefungshörige Redakteur in seinem Kommentar schreibt. Nur bei 6 von 1114 Schiffspassagen wurde der auf der Elbe mögliche Tiefgang tatsächlich ausgenutzt, das sind 0,5 %.

Andererseits erstickt Hamburg bereits jetzt im Sediment der entfesselten Elbe, denn – anders als vorhergesagt – hat der Strom nicht nach Abschluss des sogenannten morphologischen Nachlaufs zu einem stabilen Gleichgewichtszustand zurückgefunden. Die Unterhaltungsbaggerungen sind nicht – wie prognostiziert („Ziel des Fahrrinnenausbaus war … die Verringerung des Aufwandes für die Unterhaltung der tiefen Fahrrinne durch strombauliche Maßnahmen.“, Zitat-Quelle: Bericht zur Beweissicherung 2003, Seite 99) – zurück gegangen, sondern um 47 % (!) gestiegen, Tendenz weiter steigend, s. Anh. Unterhaltungsbaggermengen, also ziemlich weit daneben, nämlich genau das Gegenteil.

Die geplante Elbvertiefung ist weiteres Öl in dieses „Unterwasser-Feuer“, aber kein wichtiges Infrastrukturprojekt. Dr. Norbert Greiser von Consultants Sell-Greiser GmbH & Co.KG, der das Sedimentregime der Unterelbe vor 20 Jahren untersucht hat, bezweifelt, dass man die geplante Tiefe überhaupt erreichen und einhalten kann. Vieles spricht für seine These, denn anstelle der geplanten Tiefe der Sedimentfalle vor Hamburg von 2,5 m hat man nur 1,5 m tatsächlich erreicht. „Die Natur setzt Grenzen“, wie schon vor Jahren David McAllister erkannt hatte.

Es sind zwar physikalische Grenzen erreicht, aber Leute, die es gewohnt sind, Grenzen (gesetzlich, menschliche u. a.) zu überschreiten, scheren sich wohl auch nicht um physikalische Grenzen, doch das kann letztlich ebenso wenig funktionieren, wie Wasser bergauf fließt.

Ja, man erkennt, es gibt mehr als genug interessante Fakten und damit objektiv keine Gründe für die Hamburger Propaganda-Maschinerie, stattdessen „Fake-News“ zu verbreiten.

SHZ vom 23. Aug. 2017

BILD vom 23. Aug. 2017

BILD vom 24. Aug. 2017

Naturschutz in der Elbmündung
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